Primäres Offenwinkelglaukom

Die Pathogenese des primären Offenwinkelglaukoms (POWG) ist unklar. Das Fortschreiten des POWG ist durch den Verlust retinaler Ganglienzellen und die Atrophie des Sehnervs gekennzeichnet, wenn Fasern in der Nähe der Austrittsstelle des Sehnervs im Auge absterben.

Obwohl ein erhöhter Augeninnendruck einer der Hauptrisikofaktoren für ein Offenwinkelglaukom ist, stellt er keinen diagnostischen Faktor dar. Bei dieser Erkrankung kommt es zu einer fortschreitenden Ausdünnung des neuralen Randes und einer Vergrößerung der Sehnervenexkavation. Infolgedessen verengt sich das Gesichtsfeld mit der Zeit dauerhaft.1

Der Verlust von Axonen im Sehnerv kann auf die Anfälligkeit von Ganglienzellen, Mikrozirkulationsdefizite im Sehnervenkopf oder extrazelluläre Matrixfaktoren zurückzuführen sein. Die Faktoren könnten eine kombinierte Rolle spielen: Kreislaufbezogene oder extrazelluläre Matrixfaktoren könnten sowohl für hohen Druck als auch für den Axonverlust verantwortlich sein, während eine variable Anfälligkeit der Axone wahrscheinlich die fehlende Korrelation zwischen erhöhtem IOD und dem Krankheitszustand erklären würde.2

Erhöhter Augeninnendruck und Schädigungen des Auges, wie Traumata, Uveitis und Steroidmedikation sind die einzigen anerkannten kausalen Risikofaktoren für das Offenwinkelglaukom. Zwar kann jede Art von Steroidmedikation den Augeninnendruck erhöhen, doch scheinen topische okuläre und periokuläre Steroide dafür am stärksten verantwortlich zu sein. Zu den Risikofaktoren gehören neben dem Alter auch eine dunkle Hautfarbe, die das Risiko eines Glaukoms um das Vierfache erhöht, und eine positive Familienanamnese ersten Grades, die das Risiko um das Siebenfache erhöht.1

Bei etwa 4 % der Personen mit Offenwinkelglaukom und bei mehr als 10 % der Fälle mit juvenilem Offenwinkelglaukom, einer seltenen autosomal-dominanten Erkrankung, bei der das Glaukom zwischen dem 3. und 40. Lebensjahr auftritt, wurden Mutationen im Myocilin-Gen (MYOC) gefunden. Mutationen im MYOC-Gen verursachen Veränderungen im Myocilin-Protein. Der Augeninnendruck ist bei Myocilin-assoziiertem Glaukom hoch, wobei der Augeninnendruck bei bestimmten Personen mit juvenilem Offenwinkelglaukom 40 mmHg übersteigt.3

Jüngsten Meta-Analysen zufolge steht Diabetes mellitus mit einem höheren Risiko für die Entwicklung eines primären Offenwinkelglaukoms und eines erhöhten Augeninnendrucks in Zusammenhang.

Die U.K. Glaucoma Treatment Study (eine multizentrische randomisierte placebokontrollierte Studie) hat ergeben, dass bei Personen mit primärem Offenwinkelglaukom, die mit Latanoprost behandelt wurden, das Gesichtsfeld besser erhalten blieb.4

Die vordere- und hintere Kammer des Auges sind mit Kammerwasser, einer durchsichtigen Flüssigkeit, gefüllt. Über das Trabekelwerk fließt das Kammerwasser aus der vorderen Augenkammer im Augenwinkel, wo Iris und Hornhaut aufeinandertreffen, ab (Abbildung 1A).

Zum Zeitpunkt der Diagnose hatte etwa die Hälfte der Glaukompatienten einen Augeninnendruck im so genannten „normalen“ Bereich von 10 mmHg bis 21 mmHg. Gesichtsfeldbeeinträchtigungen treten bei perimetrischen Tests erst auf, wenn 30 Prozent der retinalen Ganglienzellen geschädigt sind.4 

ABBILDUNG 1A:   Im Auge wird Kammerwasser produziert, das über das Trabekelwerk (großer Pfeil) und den uveoskleralen Kanal (kleiner Pfeil) abfließt.

Übernommen von: Distelhorst JS, Hughes GM. Open-angle glaucoma. Am Fam Physician. 2003 May 1;67(9):1937-44.

ABBILDUNG 1BBeim Offenwinkelglaukom kann die produzierte Flüssigkeit nicht so schnell abfließen und verbleibt länger im Auge, wodurch sich der Augendruck erhöht, was zu Schäden und einem dauerhaften Sehverlust führen kann.

Übernommen von: Distelhorst JS, Hughes GM. Open-angle glaucoma. Am Fam Physician. 2003 May 1;67(9):1937-44.

Symptome des POWG:

Die Entwicklung des Glaukoms bleibt meist lange vom Patienten unbemerkt, da es meist zunächst keine Beschwerden verursacht. Bei Patienten, bei denen mehr als 40 % der Nervenfasern verloren gegangen sind, kann es zu einem allmählichen Verlust des peripheren Sehens, dem so genannten Tunnelblick, kommen. In den meisten Fällen wird das Offenwinkelglaukom bei einer umfassenden augenärztlichen Untersuchung aus einem anderen Grund zufällig entdeckt.1

Primäres Engwinkelglaukom:

Beim primären Engwinkelgaukom (PEWG) blockiert die periphere Iris den normalen Kammerwasserabfluss (Abbildung 1C). Dies kann zu einem erhöhten Augeninnendruck und einer Schädigung des Sehnervs führen.

ABBILDUNG 1C: Beim Winkelschlussglaukom blockiert eine abweichend positionierte Iris den Abfluss des Kammerwassers durch den Vorderkammerwinkel (iridokorneal)..

PEWG-anfällige Augen haben eine kürzere Vorderkammer und eine flachere vordere Augenkammer. Bei Patienten mit PEWG kann es sich um akute oder subakute Fälle handeln, verursacht durch einen raschen Anstieg des Augeninnendrucks, oder um chronisches PEWG, das sich langsam entwickelt und in der Regel asymptomatisch ist. Der akute Verschluss des Augenwinkels ist ein seltenes Ereignis, bei dem Personen aufgrund eines erhöhten Augeninnendrucks plötzlich und unter Schmerzen ihr Sehvermögen verlieren.1

Symptome des PEWG:

Als Folge des Hornhautödems kann es zu Sehstörungen und Lichthöfen oder Regenbögen um Lichter auf einer Seite (selten auf beiden) kommen. Die Patienten leiden häufig unter starken Schmerzen in der Augengegend sowie unter Übelkeit und Erbrechen, was fälschlicherweise für eine Migräne gehalten werden kann. Eine akute Episode des Winkelverschlusses ist durch eine mittelgroße Pupillenerweiterung, eine Bindehautinjektion und eine trübe Hornhaut gekennzeichnet, die nicht charakteristisch für eine Migräne sind. Bei Patienten mit subakutem Winkelverschluss können die Symptome schwächer werden oder schubweise auftreten und verschwinden, wenn sie einen gut beleuchteten Raum betreten oder schlafen, was beides eine Verlängung der Pupille (Miosis) verursacht. Ein Augenarzt muss den Augenwinkel untersuchen, um festzustellen, ob bei den Betroffenen das Risiko eines akuten Winkelverschlusses besteht.4

Screening:4

Die Messung des Augeninnendrucks allein ist keine gute Methode zur Feststellung eines Glaukoms. Bei der Hälfte der Patienten mit POWG liegt der Augeninnendruck im Normalbereich, und die meisten Patienten mit erhöhtem Druck (22 mmHg oder mehr) entwickeln kein Glaukom.

Zur genauen Diagnose eines Glaukoms sind Untersuchungen erforderlich, die über das hinausgehen, was normalerweise in der Primärversorgung durchgeführt wird, etwa die Messung des Augeninnendrucks, die stereoskopische Untersuchung des Sehnervs und formale Gesichtsfeldtests. Die Untersuchungen werden im Laufe der Zeit wiederholt, um den Verlust von retinalen Nervenfasern und die Entwicklung von SKotomen (Gesichtsfeldausfälle) zu überprüfen.

Diagnostischer Ansatz: 5

Ein Glaukom kann frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden, was den Krankheitsverlauf verlangsamt und die Lebensqualität der Betroffenen verbessertDie derzeitigen „Goldstandards“ für die Glaukomdiagnose sind die Beurteilung des Sehnervenkopfes (zur Überwachung struktureller Veränderungen) und die standardmäßige achromatische (Weiß-auf-Weiß-) Perimetrie (zur Überwachung funktioneller Veränderungen). In jüngster Zeit wurden mehrere Diagnosetechniken (siehe unten) für die Frühdiagnose und das Fortschreiten des Glaukoms entwickelt.

  • Heidelberger Retina Tomographie (HRT)
  • Optische Kohärenztomographie (OCT)
  • Scanning-Laser-Polarimetrie
  • Frequenzverdopplungstechnologie (FDT)
  • Automatisierte Blau-Gelb-Perimetrie

Es wurde berichtet, dass die oben genannten Diagnosegeräte glaukomatöse Schäden erkennen können. Einigen Forschungsergebnissen zufolge kann die HRT Schäden früher erkennen als die klinische Beurteilung oder die Fundusbildgebung. Es wurde jedoch kein detaillierter Bericht veröffentlicht, in dem deren Genauigkeit mit der des Referenzstandards verglichen wurde.

Referenzen

  1. Distelhorst JS, Hughes GM. Open-angle glaucoma. Am Fam Physician. 2003 May 1;67(9):1937-44. PMID: 12751655.
  2. Ray K, Mookherjee S. Molecular complexity of primary open angle glaucoma: current concepts.J Genet. 2009 Dec;88(4):451-67. doi: 10.1007/s12041-009-0065-3. PMID: 20090207.
  3. Kwon YH, Fingert JH, Kuehn MH, Alward WL. Primary open-angle glaucoma. N Engl J Med. 2009 Mar 12;360(11):1113-24. doi: 10.1056/NEJMra0804630. PMID: 19279343; PMCID: PMC3700399.
  4. Gupta D, Chen PP. Glaucoma. Am Fam Physician. 2016 Apr 15;93(8):668-74. PMID: 27175839.
  5. Ahmed S, Khan Z, Si F, et al. Summary of Glaucoma Diagnostic Testing Accuracy: An Evidence-Based Meta-Analysis [published correction appears in J Clin Med Res. 2017 Mar;9(3):231]. J Clin Med Res. 2016;8(9):641-649. doi:10.14740/jocmr2643w

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