Marcumar
Gut zu wissen
Der Vitamin-K-Antagonist Marcumar® (Phenprocoumon) ist das seit 70 Jahren bewährte Original! Als orales Antikoagulans wird es in der Prophylaxe und Behandlung von Thrombosen und Embolien, so z. B. bei Vorhofflimmern, und bei erhöhtem Risiko für thromboembolische Komplikationen in der Langzeitbehandlung des Herzinfarktes eingesetzt. Im Gegensatz zu DOAKs (Direkte orale Antikoagulanzien) ist Marcumar® laut Fachinformation auch bei Patienten mit künstlichen Herzklappen, valvulärem Vorhofflimmern und Nierenfunktionsstörungen ausgenommen manifester Niereninsuffizienz anwendbar. Marcumar® ist individuell dosierbar und bietet durch das INR-Monitoring eine messbare Überprüfung von Dosierung und Compliance. Im Notfall ist mit Vitamin K1 ein erprobtes Antidot verfügbar.
Vorteile auf einen Blick
- Im Gegensatz zu den DOAKs liegen für Marcumar® umfassendere Erfahrungen in der Langzeitanwendung vor
- Die individuelle Dosisanpassung ist u.a. bei multimorbiden Patienten von Vorteil
- Auch bei schlechter Adhärenz: Lange Halbwertszeit, somit stabiler Thromboseschutz ¹
- Im Notfall entscheidend: Erprobtes Antidot verfügbar
- Niedrige Arzneimittelkosten pro Tag ²
Referenzen
- Fachinformation Marcumar®
- https://www.amboss.com/de/wissen/Vitamin-K-Antagonisten_und_direkte_orale_Antikoagulanzien/; letzter Zugriff am 14.01.2023
Patientengruppen
Marcumar® – seit 70 Jahren bewährt für Ihre Patienten!
Für Patienten mit Risiko für Thrombosen und Embolien ist Marcumar® ein wichtiges Arzneimittel. Ist eine Antikoagulation angezeigt, stehen heutzutage verschiedene Wirkstoffgruppen zur Verfügung. Der in Marcumar® enthaltene Vitamin-K-Antagonist Phenprocoumon wird von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) empfohlen und auch in der täglichen Praxis hat Marcumar® bis heute einen hohen Stellenwert1,2.
Für manche Patienten eignet sich Marcumar® im Vergleich zu den DOAKs besonders (s. Abb.). Es gibt Fälle, bei denen die Marcumar®-Wahl medizinische Relevanz hat3. Auch im Sinne eines geregelten Therapiemanagements oder für eine individuelle Berücksichtigung der Patienten ist an Marcumar® zu denken, so die Ergebnisse einer von Viatris beauftragten DocCheck-Umfrage4.
Referenzen
- Orale Antikoagulation bei nicht valvulärem Vorhofflimmern - Empfehlungen zum Einsatz der direkten oralen Antikoagulanzien Dabigatran, Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban, Arzneimittelkommission der deutschen Ärtzeschaft (AkdÄ), 3., überarbeitete Auflage 2019, S.4; https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/OAKVHF.pdf
- Gemeinsame Arbeitsgruppe Arzneimittel, Kassenärztliche Vereinigung Verbände der gesetzlichen Niedersachsen, Krankenkassen in Niedersachsen, Orale Antikoagulation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern – DOAKs oder VKA?, Stand: 05/2022, https://www.kvn.de/internet_media/Mitglieder/Verordnungen/Arzneimittel/Ver%C3%B6ffentlichungen/AG+Arzneimittel_+Orale+Antikoagulation+bei+nicht_valvul%C3%A4rem+Vorhofflimmern-p-1837.pdf
- Orale Antikoagulation bei nicht valvulärem Vorhofflimmern - Empfehlungen zum Einsatz der direkten oralen Antikoagulanzien Dabigatran, Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban, Arzneimittelkommission der deutschen Ärtzeschaft (AkdÄ), 3., überarbeitete Auflage 2019, S.11; https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/OAKVHF.pdf
- Für die Durchführung der Studie Marcumar-Markt wurde das Marktforschungsinstitut DocCheck Insights (Köln) beauftragt. Befragt wurden 300 niedergelassene APIs, die langfristig oral antikoagulierte Patienten behandeln. Die Befragung wurde vom 23. Mai bis 07. Juni 2022 online auf Basis einer zufallsbasierten Stichprobenziehung aus dem DocCheck Panel durchgeführt.
Dosierung
Die Dosierung von Marcumar® ist durch die Bestimmung der Thromboplastinzeit oder einen anderen adäquaten Test (zum Beispiel chromogene Substratmethode) zu überwachen und individuell anzupassen. Das Messergebnis dieser Bestimmung wird als INR (International Normalized Ratio) angegeben.
Die Dosierung wird über die Bestimmung dieses INR-Wertes bei jedem Patienten fortlaufend kontrolliert und angepasst, da das Ansprechen auf die Behandlung individuell sehr unterschiedlich ist. Die erste Bestimmung sollte stets als Gesamtgerinnungsbestimmung vor Beginn der Behandlung mit Marcumar® erfolgen.
Je nach Art der vorliegenden Erkrankung wird ein wirksamer INR-Bereich von 2,0 bis 3,0 bzw. von 2,0 bis 3,5 angestrebt. Die Erhaltungsdosis muss - ebenso wie die Initialdosis - dem ermittelten INR-Wert angepasst werden. In der Regel genügen niedrige Erhaltungsdosen von 0,5 bis 1,5 Tabletten Marcumar® pro Tag abhängig vom individuellen Ansprechen des Patienten, um den INR-Wert konstant im angestrebten Bereich zu halten. Die Maximaldosis pro Tag sollte 3 Tabletten nicht überschreiten.
Die Gerinnung sollte bei stabil eingestellten Patienten in regelmäßigen Zeitabständen, mindestens alle 3 bis 4 Wochen, überprüft werden. Eine häufigere Kontrolle ist notwendig bei Änderungen der Begleitmedikation (Therapiebeginn, Dosisänderung, Absetzen) oder unter Bedingungen, die einen Einfluss auf den INR-Wert haben könnten. Die Behandlung mit Marcumar® kann ohne Ausschleichen beendet werden.
Therapiestart mit Marcumar®1
Die Therapie wird üblicherweise mit einer höheren Initialdosis eingeleitet. Es wird empfohlen, bei normalen INR-Werten am 1. Behandlungstag 2 bis 3 Tabletten (entsprechend 6 bis 9 mg Phenprocoumon) und am 2. Behandlungstag 2 Tabletten (entsprechend 6 mg Phenprocoumon) zu verabreichen. Ab dem dritten Tag muss regelmäßig der INR-Wert bestimmt werden, um den Reaktionstyp des Patienten festzustellen (Hypo-, Normo-, Hyperreaktion).
- → Liegt der INR-Wert niedriger als der angestrebte therapeutische Bereich (siehe Tabelle unten), werden täglich 1,5 Tabletten Marcumar® (entsprechend 4,5 mg Phenprocoumon) gegeben.
- → Liegt der INR-Wert im angestrebten therapeutischen Bereich, wird täglich 1 Tablette Marcumar® (entsprechend 3 mg Phenprocoumon) gegeben.
- → Liegt der INR-Wert höher als der therapeutische Bereich (INR > 3,5), wird täglich 0,5 Tablette Marcumar® (entsprechend 1,5 mg Phenprocoumon) gegeben. Bei INR-Werten > 4,5 soll keine Marcumar®-Gabe erfolgen.
Die gerinnungshemmende Wirkung von Phenprocoumon setzt mit einer Latenz von ca. 36 bis 72 Stunden ein. Falls eine rasche Antikoagulation erforderlich ist, muss die Therapie mit Heparin eingeleitet werden.
Hilfe bei der Dosisfindung – die Dosierungsmatrix2
Anhand der Dosierungsmatrix, die so ausgearbeitet ist, dass ein INR-Bereich zwischen 2,0 und 3,0 angestrebt wird, kann die Dosis innerhalb der ersten sechs Tage nach Gabe einer Initialdosis von 2 Tabletten Marcumar® ganz einfach entsprechend den jeweiligen INR-Werten abgelesen werden. Voraussetzung ist die tägliche Ermittlung des INR-Wertes.
Die Dosierungsmatrix ist folgendermaßen zu lesen2:
Am zweiten Tag wird zum ersten Mal der INR-Wert bestimmt. In der Dosierungsmatrix wird dann links (Ordinate) der erhaltene INR-Wert zugeordnet. Der Schnittpunkt mit dem Tag 2 (Abszisse) ergibt die Anzahl an Marcumar®-Tabletten, die der Patient an diesem Tag erhält.
An Tag 3 wiederholt sich dieses Prozedere.
Die Dosierungsmatrix lässt sich auch in die andere Richtung nutzen: Wenn also aufgrund einer zu hohen Dosierung die Gerinnungshemmung über das Ziel hinausgeschossen ist. Man nimmt dann den Tag, an dem die INR-Bestimmung sich als zu hoch erwiesen hat, als Tag 2 und liest in der Dosierungsmatrix in der entsprechenden Zeile die Dosis (hier 0) ab. Das bedeutet in diesem Fall einen Leertag.
INR-Bereich und Behandlungsdauer in Abhängigkeit von der Indikation1
Referenzen
- Fachinformation Marcumar®
- Modifiziert nach Dr. Goldinger, Mainz; https://www.staff.uni-mainz.de/goldinge/dosmatrx.htm; letzter Zugriff am 14.01.2023
Therapiemanagement
Dank der langjährigen Erfahrung mit Marcumar® ist gut bekannt, welche Themen im Patientengespräch eine Rolle spielen. So sind Informationen über die INR, Ernährung unter VKA-Einnahme, den Umgang mit Blutungen und das Bridging relevant für das Therapiemanagement.
Welche möglichen Ursachen für INR-Wert-Schwankungen gibt es?
Die Bestimmung der INR sorgt für Kontrollierbarkeit und Sicherheit in der Marcumar®-Therapie. Bei nicht konstanten Werten stellt sich zunächst die Frage, ob die Zuverlässigkeit der Tabletteneinnahme gesichert ist. Die Co-Medikation ist zu prüfen, ebenso bestehende Begleiterkrankungen wie Hypothyreose oder Diarrhoe. Nicht zuletzt kann eine stark Vitamin-K-reiche Ernährung eine Rolle spielen.
Was ist bei der Einnahme von Marcumar® im Zusammenhang mit Nahrung und Getränken zu berücksichtigen?
Entsprechend des Wirkmechanismus von Phenprocoumon kann durch stark Vitamin-K-haltige Lebensmittel die antikoagulative Wirkung von Marcumar® reduziert werden. Das Vitamin K1 ist in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln, besonders reichlich in grünem Gemüse, enthalten. Es wird geraten, täglich etwa dieselbe Menge Vitamin K1 zu sich zu nehmen, denn bei einer ausgewogenen Ernährung ist der Einfluss gering. Eine Übersicht der Vitamin-K1-Gehälter von Lebensmitteln bietet unsere Patienteninformation: Vitamin-K1-Gehalt ausgewählter Lebensmittel.
Als Inhibitor von CYP3A4 vermindert Grapefruit(saft) den Abbau vieler Arzneimittel, wie auch Phenprocoumon. Bei gleichzeitiger Einnahme verstärkt sich die antikoagulative Wirkung von Marcumar®, was zu einem erhöhten Blutungsrisiko führen kann.
Auch in Zusammenhang mit dem Verzehr von Goji-Beeren oder -Saft wurde eine Verstärkung der antikoagulativen Wirkung von Cumarinderivaten wie Warfarin oder Phenprocoumon beobachtet. Der Mechanismus dieser Interaktion ist bislang ungeklärt.
Eine komplexe Interaktion ergibt sich für Ethanol. Akute Aufnahme potenziert die Wirkung oraler Antikoagulanzien, während chronische Aufnahme diese abschwächt. Bei chronischer Aufnahme von Alkohol und einer Leberinsuffizienz kann es jedoch auch zu einer Wirkungsverstärkung kommen.
Wie kann bei zu hohem INR-Wert die gerinnungshemmende Wirkung aufgehoben werden?
Auf welche Art und Weise die gerinnungshemmende Wirkung aufgehoben werden soll ist abhängig vom INR-Wert und den klinischen Anforderungen. Bei stark erhöhten INR-Werten mit oder ohne Blutungen soll die Behandlung mit Marcumar® unterbrochen werden. Gegebenenfalls ist eine Kontrolle des INR-Wertes mithilfe von intravenösen Vitamin-K1-Gaben notwendig.
Wie können Blutungskomplikationen mittels Medikament behandelt werden?
Spezifischer Antagonist von Marcumar® ist Vitamin K1 (Phytomenadion). Er ist in der Lage, die antikoagulative Wirkung innerhalb von 24 Stunden aufzuheben. Bei leichteren Blutungen wird noch kein Antidot verabreicht, um nicht die Antikoagulation für mehrere Tage zu verhindern. Erst bei stärkeren Blutungen kommt Vitamin K1 zum Einsatz, während Marcumar® pausiert wird.
Für eine noch schnellere Aufhebung der Phenprocoumon-Wirkung können virusinaktiviertes Prothrombinkomplexkonzentrat (PPSB) oder Colestyramin verabreicht werden. Abgesehen von der Verfügbarkeit potenter Gegenmittel für Marcumar®, kamen bei einer Studie unter VKA-Therapie lediglich 1,29 Ereignisse von schweren Blutungen pro 100 Patientenjahre vor.
Behandlung von Blutungskomplikationen
Wie ist das Bridging – als mögliches perioperatives Management – unter Marcumar®-Therapie durchzuführen?
Unter bestimmten Bedingungen bedürfen chirurgische oder invasive diagnostische Eingriffe einer Unterbrechung der Einnahme von Cumarinderivaten und Überbrückung der Antikoagulation mit Heparin. Dabei gilt es speziell das Risiko zwischen perioperativer Thromboembolie und einem akzeptablen Blutungsrisiko abzuwägen.
Für Eingriffe mit einem niedrigen Blutungsrisiko bedarf es keiner Unterbrechung der Blutgerinnungshemmung. Bei Eingriffen mit einem hohen Blutungsrisiko erfolgen das zeitweilige Absetzen von Marcumar® und die Heparin-Dosierung gemäß dem Risiko für eine Thromboembolie.
Vor dem Eingriff: fünf bis zehn Tage zuvor wird Marcumar® abgesetzt und der INR-Wert täglich bestimmt. Wenn der INR-Wert den therapeutischen Bereich unterschreitet, beginnt die Heparin-Gabe.
Nach dem Eingriff: ist die Blutungsgefahr vorbei, wird die Behandlung mit Marcumar® fortgesetzt und der INR-Wert täglich bestimmt. Wenn der INR-Wert den therapeutischen Bereich erreicht hat, wird Heparin abgesetzt.
Hinsichtlich ausreichenden Schutzes vor perioperativen Thromboembolien und akzeptablem Blutungsrisiko muss eine besonders sorgfältige Überwachung erfolgen.
Referenzen
- Fachinformation Marcumar®
- Oldenburg J. et al., Pharmakogenetik der oralen Antikoagulation mit Cumarinen, medgen 2008 · 20:230–235 DOI 10.1007/s11825-008-0095-x, Online publiziert: 16. Juli 2008, https://www.medgenetik.de/de/2008/2008_2_230_Oldenburg.pdf; letzter Zugriff am 14.01.2023
- Antikoagulantien richtig dosieren, Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 04/2014; https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-042014/antikoagulanzien-richtig-dosieren/, letzter Zugriff am 09.11.2023
- Bergert et al., Hausärztliche Leitlinie Antikoagulation, 2009
- Goldinger A. Therapie mit Cumarinderivaten. Teil 1: Pharmakologie und Klinik von Phenprocoumon. Krankenhauspharmazie 1996, 17(5):189-20
- Bauersachs et al., Überbrückung der oralen Antikoagulation bei interventionellen Eingriffen, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 104, Heft 18, 2007
- Hoffmeister et al., Unterbrechung antithrombotischer Behandlungen (Bridging) bei kardialen Erkrankungen, Kardiologie, 4:365–374, 2010
- Altiok E, Marx N: Orale Antikoagulation. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 115, Heft 46, 16. Nov. 2018, 776-83. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0776
Gerinnungsmanagement
Der Therapieerfolg mit Marcumar® ist gut kontrollierbar mittels Gerinnungsmanagement, welches sich aus der Messung der Blutverdünnung und der entsprechenden Dosierung der Marcumar®-Tabletten zusammensetzt. Das INR-Monitoring kann in der Arztpraxis oder vom Patienten selbst durchgeführt werden.
Gerinnungsdiagnostik: International Normalized Ratio (INR)
Der INR-Wert gibt das Verhältnis zwischen der Gerinnungszeit des Patientenplasmas und der Gerinnungszeit eines standardisierten Normplasmas unter Berücksichtigung des Empfindlichkeitsfaktors an. Die Abweichung von dem von der WHO-bestimmten Referenz-Thromboplastin wird von jedem Hersteller ermittelt und als International Sensitivity Index (ISI)-Wert angegeben. So ergibt sich folgende Formel zur Berechnung des INR-Wertes:
Die physiologische INR liegt bei 1. Unter einer Therapie mit Antikoagulantien wird meist patientenindividuell und indikationsabhängig eine INR zwischen 2 und 3,5 angestrebt. Niedrige INR-Werte stehen für ein erhöhtes Thromboserisiko und hohe INR-Werte für ein erhöhtes Blutungsrisiko.
Arztpraxis oder Gerinnungsselbstmanagement (GSM)
Die Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar® bedarf einer regelmäßigen INR-Wert-Kontrolle, die in der Arztpraxis oder vom Patienten selbst durchgeführt werden kann. Beide Varianten können von Vorteil sein, sodass sich die Wahl nach den individuellen Patientenbedürfnissen richtet.
Regelmäßig kontrollieren – in der Arztpraxis
Die Messung kann beim Arzt alle vier bis sechs Wochen durchgeführt werden. Dafür wird dem Patienten Blut aus der Vene entnommen und an ein Labor gesendet oder es wird Blut aus der Fingerbeere mit einem speziellen Gerät unmittelbar vermessen.
Diese Variante eignet sich besonders für Patienten mit Bedarf an Supervision. Das trifft auf multimorbide Patienten zu, bei denen regelmäßige Arztbesuche ohnehin angezeigt sind oder auch auf Patienten mit zweifelhafter Therapieadhärenz.
Aufgrund des größeren Zeitabstandes der Messwerte in der Praxis werden Schwankungen des INR-Wertes nicht so schnell erkannt.
Gerinnungsselbstmanagement (GSM) – Gerinnung im Blick
Beim GSM ist für die Messung ein Pieks in die Fingerkuppe ausreichend. In der Regel misst der Patient wöchentlich und die Werte können beispielsweise einmal im Quartal mit dem Arzt besprochen werden.
Bereits mehr als 200.000 Patienten in Deutschland ermitteln ihren Gerinnungswert selbst und passen ihre Medikamentendosis eigenständig an. Das GSM eignet sich besonders für Patienten, die von der Unabhängigkeit profitieren und an aktiver Mitarbeit für ihre Gesundheit interessiert sind.
Weitere Gründe, die für das GSM sprechen, nennt die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ): Schwere Thromboembolien und Todesfälle können mit dem GSM vermindert werden. Das GSM ist für geeignete Patienten oder ihre Angehörigen durch eine Schulung zu erlernen. Gerätekosten werden von den Krankenkassen weitgehend übernommen, was das GSM kosteneffizient macht.
Weiterführende Informationen
Das GSM können Patienten oder ihre Angehörigen in einem der bundesweit 900 Schulungszentren erlernen. In einer meist mehrtägigen Schulung erhalten Patienten praktisches und theoretisches Wissen zu Blutgerinnung und Selbstmessung, Anpassung der Therapie sowie weiteren Themen. Nach erfolgreicher Teilnahme erhalten die Patienten ein entsprechendes Gerät, Teststreifen sowie Stechhilfen und können mit dem GSM beginnen. Auch individuelle Online-Live-Schulungen sind möglich.
- Beispiele für Schulungsmöglichkeiten zum GSM des Patienten: coaguchek.de/schulung
- Gerinnungsselbstmanagement inklusive Tipps zur Kostenübernahme durch die Kassen finden Sie z. B. unter: coaguchek.de
Für die Bestimmung und Überwachung der Blutgerinnung stehen verschiedene Messsysteme zur Verfügung, die je nach Anwendung durch den Patienten selbst, bei niedergelassenen Ärzten oder in Kliniken zum Einsatz kommen.
- Beispiel eines Systems für die INR-Bestimmung: /www.roche.de/diagnostik-produkte.
Referenzen
- Heneghan C et al. Lancet 2012;379(9813):322–334.
- Arzt und Wirtschaft 09/2021
- Orale Antikoagulation bei nicht valvulärem Vorhofflimmern - Empfehlungen zum Einsatz der direkten oralen Antikoagulanzien Dabigatran, Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban, Arzneimittelkommission der deutschen Ärtzeschaft (AkdÄ), 3., überarbeitete Auflage 2019, S.19; https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/OAKVHF.pdf
- Siebenhofer A. et al. Thromb Haemost 2008;100 (6):1089–98.
- Arzt und Wirtschaft 09/2021
Studien
Der Einsatz oraler Antikoagulantien wird in der Forschung weltweit diskutiert. Nachfolgend werden repräsentative Studien vorgestellt und ihre Kernaussagen herausgearbeitet.
Studie 1
Wirksamkeit und Sicherheit oraler Antikoagulationsstrategien bei Vorhofflimmern in der Praxis: eine Kohortenstudie auf Grundlage eines deutschen Patientendatensatzes. Pragmatische Forschung und Beobachtungsstudien1
Real-world effectiveness and safety of oral anticoagulation strategies in atrial fibrillation: a cohort study based on a German claims dataset. Pragmatic and Observational Research
Hintergrund
In Deutschland wird unter den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) Phenprocoumon (primär Marcumar®) als orales Antikoagulans bei Patienten mit Vorhofflimmern eingesetzt. Es fehlten Vergleichsdaten zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser Standardtherapie mit verfügbaren direkten (Nicht-Vitamin-K-abhängigen) oralen Antikoagulantien (DOAK oder auch NOAK). Diese Lücke füllten die Ergebnisse einer großen Kohortenstudie mit 75.000 Patientendaten aus den Registern von drei deutschen Allgemeinen Ortskrankenkassen. Ziel der Studie war der Vergleich von Praxisdaten zu Wirksamkeit und Sicherheit einer Therapie mit DOAK versus VKA-Behandlung in einem nicht-selektierten Kollektiv von Patienten mit Vorhofflimmern.
Methodik und Patienten
In einer retrospektiven Versorgungsstudie wurden die Versicherungsdaten mit insgesamt 11,1 Millionen Versicherten herangezogen, die von Anfang 2010 bis Mitte 2014 erfasst wurden. In die Analyse aufgenommen wurden alle Patienten mit Vorhofflimmern, deren Diagnose durch mindestens zwei ambulante Diagnosen und/oder eine klinische Diagnose bestätigt wurde, die mindestens eine ambulante Verschreibung eines DOAKs oder VKAs erhalten hatten und im Jahr vor der ersten Verordnung einen CHA2DS2-VASc-Score >1 aufwiesen.
Ergebnisse
Die Auswertung erfolgte anhand zweier gleichgroßer Kohorten mit je 37.439 Patienten mit gleichwertigem Risikoprofil (Propensity Score Matching). In der VKA-Gruppe erhielten 99,4 % der Patienten Phenprocoumon. In der DOAK-Gruppe erfolgte die Therapie mit Dabigatran, Rivaroxaban oder Apixaban. Der Altersdurchschnitt der Patienten lag bei 78 Jahren und der mittlere Follow-up-Zeitraum bei 12 Monaten. Die Analyse der Outcome-Parameter (Abb. 1) zeigte im Vergleich zur DOAK-Therapie ein signifikant besseres Abschneiden von Phenprocoumon (z. B. Marcumar®). In nahezu jedem der Outcome-Parameter traten unter DOAK-Therapie signifikant mehr Ereignisse auf als unter VKA.
Abb. 1: Unter VKA-Therapie signifikant weniger Ereignisse als unter DOAK-Behandlung. Nur im Endpunkt „hämorrhagischer Schlaganfall“ zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Vergleichsgruppen. (VKA: n = 37.439 Patienten, DOAK: n = 37.439 Patienten)
Auch in den kombinierten Endpunkten zu Wirksamkeit, Sicherheit und Summe aller Endpunkte bestätigte sich die Überlegenheit einer VKA-Therapie gegenüber einer DOAK-Therapie (Abb. 2). Die Versorgungsdaten bestätigen die in Deutschland qualitativ gute Einstellungsqualität einer VKA-Therapie mit Phenprocoumon (z. B. Marcumar®), wie sie auch in anderen Studien gezeigt wurde. Die Qualität der Antikoagulation innerhalb der DOAK-Kohorte wurde von den Autoren dagegen als kritisch bewertet. In der DOAK-Kohorte erhielten etwa 50 % (n = 19.096) lediglich eine Niedrig-Dosis-Therapie, obwohl in 49,4 % der Fälle keine Diagnose für eine Niereninsuffizienz oder ein Nierenversagen vorlag. Basierend auf der Nierenfunktion hätten diese Patienten für eine optimale Antikoagulation eine höhere Dosis erhalten müssen. Tatsächlich zeigte die Sensitivitäts-Analyse eine schlechte Wirksamkeit der DOAKs bei diesen Patienten.
Abb. 2: Signifikante Überlegenheit der VKA-Therapie in allen kombinierten Endpunkten.
Schlussfolgerung
Unter deutschen Praxisbedingungen scheint die VKA-Therapie bei Patienten mit Vorhofflimmern wirksamer und sicherer zu sein als eine DOAK-Therapie.
Studie 2
Vergleich der Schlaganfallpräventionstherapie von direkten oralen Antikoagulantien und Vitamin-K-Antagonisten bei Patienten mit Vorhofflimmern: Eine landesweite Retrospektive Beobachtungsstudie2
Comparing stroke prevention therapy of direct oral anticoagulants and vitamin K antagonists in patients with atrial fibrillation: a nationwide retrospective observational study
Hintergrund
Direkte orale Antikoagulantien (DOAKs) werden nicht nur zunehmend für die initiale Schlaganfallpräventionstherapie eingesetzt, sondern ersetzen zunehmend auch die Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) bei Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern (VHF). DOAKs wurden in mehreren zulassungsrelevanten Studien hinsichtlich der therapeutischen Wirksamkeit und der unerwünschten Outcomes mit Warfarin verglichen und zeigten eine Nichtunterlegenheit in Bezug auf die Schlaganfallprävention und Überlegenheit in Bezug auf Blutungskomplikationen. Es fehlen jedoch umfassende Vergleichsstudien für Phenprocoumon. Ziel dieser Studie war der Vergleich des Schlaganfall- und Blutungsrisikos bei mit Phenprocoumon und DOAK behandelten Patienten mit Vorhofflimmern in einer ausreichend aussagekräftigen Beobachtungsstudienpopulation.
Methodik und Patienten
Retrospektive Analyse der Schlaganfall- und Blutungsinzidenz von 837.430 Patienten (1,27 Millionen Patientenjahre), die zwischen 2010 und 2017 mit DOAK oder Phenprocoumon zur Schlaganfallprävention in der deutschen ambulanten Versorgung behandelt wurden. Die relativen Risiken von Schlaganfall und Blutung wurden durch die Berechnung der cox-Regressions-abgeleiteten Hazard Ratios (HR) und der 95 %-Konfidenzintervalle (CI) der mit dem Propensity-Score übereinstimmenden Kohorten abgeschätzt.
Ergebnisse
Patienten, die mit DOAK behandelt wurden, wiesen im Vergleich zu Phenprocoumon ein insgesamt höheres Schlaganfallrisiko (HR 1,32; KI 1,29–1,35) und ein geringeres Blutungsrisiko (0,89; 0,88–0,90) auf. Bei separater Analyse war das Schlaganfallrisiko für Dabigatran (1,93; 1,82–2,03), Apixaban (1,52; 1,46–1,58) und Rivaroxaban (1,13; 1,10–1,17) höher, nicht für Edoxaban (0,88; 0,74–1,05). Das Blutungsrisiko war bei Dabigatran (0,85; 0,83–0,88), Apixaban (0,71; 0,70–0,73) und Edoxaban geringer (0,29; 0,17–0,51), jedoch nicht bei Rivaroxaban (1,03; 1,01–1,04).
Schlussfolgerung
Die Studie liefert einen umfassenden Überblick über die Schlaganfall- und Blutungsrisiken, die mit Phenprocoumon und DOAK in Deutschland verbunden sind. Phenprocoumon kann der DOAK-Behandlung zur Prävention von Schlaganfällen bei VHF in einer realen Bevölkerung vorzuziehen sein, die in der ambulanten Versorgung betreut wird.
Fazit3
Diese Ergebnisse unterstützen die Empfehlung, dass die Entscheidung für eine VKA- oder DOAK-Behandlung vom individuellen Schlaganfall des Patienten und Blutungsrisiko abhängen sollte. Zudem unterstützt diese Analyse nachdrücklich, dass eine pauschale Neueinstellung bzw. Umstellung von Patienten mit gut eingestellter VKA-Therapie nicht angezeigt ist. Vielmehr kann eine VKA-Therapie für Pateinten mit Vorhofflimmern, von Vorteil sein.
Referenzen
- Mueller S, Groth A, Spitzer SG, Schramm A, Pfaff A, Maywald U. Real-world effectiveness and safety of oral anticoagulation strategies in atrial fibrillation: a cohort study based on a German claims dataset. Pragmat Obs Res. 2018 May 1;9:1-10. doi: 10.2147/POR.S156521. PMID: 29750067; PMCID: PMC5935078.
- Paschke LM, Klimke K, Altiner A, Stillfried D and Schulz M.: Comparing stroke prevention therapy of direct oral anticoagulants and vitamin K antagonists in patients with atrial fibrillation: a nationwide retrospective observational study. BMC Medicine. 2020 Aug 27. doi: 10.1186/s12916-020-01695-7
- Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (Zi), Presseinformation: Direkte orale Antikoagulantien (DOAK) auf dem Vormarsch – Uneinheitliches Bild bei Schlaganfall- und Blutungsrisiko, 27. August 2020, https://www.zi.de/das-zi/medien/medieninformationen-und-statements/detailansicht/27-august-2020, letzter Zugriff: 26.04.2023
Sonderpublikationen
Im Rahmen dieser Sonderpublikation im Medizinmagazin Forum Sanitas geben Dr. rer. Nat. Christiane Engelbertz und Prof. Dr. med. Holger Reinecke eine Zusammenfassung über die Ergebnisse einer nationalen Langzeitauswertung aus dem Versorgungsalltag von Patienten mit oralen Antikoagulantien. Diese retrospektiven Daten der Barmer Krankenversicherung von über 500.000 Patienten geben Hinweise darauf, dass Phenprocoumon grundsätzlich weiterhin eine Alternative zu einer Behandlung mit DOACs sein kann
Im Rahmen dieser Sonderpublikation im Medizinmagazin Forum Sanitas gibt Prof. Dr. med. Rupert Bauersachs einen Überblick über das Management von Thromboembolien am Beispiel von Phenprocoumon.
Management von Thromboembolien am Beispiel Phenprocoumon | DIN A4
Servicematerial
Häufige Fragen
Fachinformation Marcumar® 3mg Tabletten
Weiterführende Inhalte
Überblick kardiovaskuläre Erkrankungen

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die häufigste Todesursache weltweit, mit 19,7 Mio. Todesfällen im Jahr 2019
Zeitgemäßes Thrombosemanagement - Symposium auf der GTH 2023

Expertenvorträge von der Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose und Hämostase (GTH) 2023